Wuppertal, Dienstag, den 26. Okt. 2010

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Betrachtung zum Begriff der Moralischen Technik

Motto:

Heilsam ist nur, wenn
Im Spiegel der Menschenseele
Sich bildet die ganze Gemeinschaft;
Und in der Gemeinschaft
Lebet der Einzelseele Kraft.

Dieser Spruch, von Rudolf Steiner als Motto der Sozialethik bezeichnet, sagt genau, was ein im wahren Sinne soziales Wirken ausmacht. Im 12. Kapitel der Philosophie der Freiheit behandelt Rudolf Steiner die Frage, wie Moral und moralisches Handeln des freien Geistes beschaffen sind und wie sie entstehen.

Der freie Geist handelt nach seinen Impulsen, das sind Intuitionen, die aus dem Ganzen seiner Ideenwelt durch das Denken ausgewählt sind.

Es genügt aber nicht, eine Intuition für das moralische Handeln zu haben, sondern für jeden einzelnen Fall muß danach die konkrete Vorstellung des Handelns erst gefunden werden. dieser zweite Schritt wird durch die moralische Phantasie geleistet.

Konkrete Vorstellungen aus der Summe seiner Ideen heraus produziert der Mensch zunächst durch die Phantasie. Was der freie Geist nötig hat, um seine Ideen zu verwirklichen ist also die moralische Phantasie. Sie ist die Quelle für das Handeln des freien Geistes. Deshalb sind auch nur Menschen mit moralischer Phantasie eigentlich sittlich produktiv.

Die moralische Phantasie schafft also für den konkreten Einzelfall die Vorstellung, das Bild, was das Ziel des moralischen Handelns zu sein hat. Hier beginnen nun aber in den meisten Fällen die Lebensschwierigkeiten zu wirken. Alle möglichen Widerstände stellen sich dem moralischen Handeln entgegen. Die Verhältnisse sind zumeist nicht so, dass sie sich dem moralischen Handeln fügen. Interessen von Menschen und Gruppen von Menschen sind berührt, Eitelkeiten, Empfindlichkeiten, ängste treten auf, kurz, - der sittlich handeln wollende findet sich in einem Dornengestrüpp wieder. Hier ist also eine weitere Fähigkeit nötig, die Rudolf Steiner moralische Technik nennt.

Die moralische Phantasie muß, um ihre Vorstellung zu verwirklichen, in ein bestimmtes Gebiet von Wahrnehmungen eingreifen. Die Handlung des Menschen schafft keine Wahrnehmungen, sondern prägt die Wahrnehmungen die bereits vorhanden sind um, erteilt ihnen eine neue Gestalt. Um ein bestimmtes Wahrnehmungsobjekt oder eine Summe von solchen, einer moralischen Vorstellung gemäss, umbilden zu können, muß man den gesetzmässigen Inhalt ( ... ) dieses Wahrnehmungsbildes begriffen haben. Man muß ferner den Modus finden, nach dem sich diese Gesetzmässigkeit in eine neue verwandeln lässt. Dieser Teil der moralischen Wirksamkeit beruht auf Kenntnis der Erscheinungswelt, mit der man es zu tun hat. Er ist also zu suchen in einem Zweige der wissenschaftlichen Erkenntnis überhaupt. Das moralische Handeln setzt also voraus neben dem moralischen Ideenvermögen und der moralischen Phantasie die Fähigkeit, die Welt der Wahrnehmungen umzuformen, ohne ihren naturgesetzlichen Zusammenhang zu durchbrechen. Diese Fähigkeit ist moralische Technik.

Was umfasst die damit erklärte Fähigkeit der moralischen Technik? Was heisst <die Welt der Wahrnehmungen umformen, ohne ihren naturgesetzlichen Zusammenhang zu durchbrechen?> Mit dem Letzteren kann doch nur gemeint sein, dass der moralisch handelnde Mensch auf das Wesen, die eigene Natur dieser Welt der Wahrnehmungen eingehen soll. Umformen, aber nicht gewaltsam, neu gestalten, aber diejenigen, die betroffen sind, mitnehmen, darstellen, warum gut ist, was aus der Umgestaltung hervorgeht. Der freie Mensch achtet vor allem die Freiheit des Anderen. Er würde sich existentiell in einem Lebens-widerspruch erleben, wenn er die Freiheit des anderen Menschen nicht achten würde. Er darf also, wenn er auf seine Mitmenschen einwirken will, nur an deren Einsicht appellieren; auch nur den Versuch zu überreden oder auf andere Art einen Zwang auszuüben verbietet er sich.

Das, was Rudolf Steiner hier den naturgesetzlichen Zusammenhang der Welt der Wahrnehmungen nennt, sind die Gesetze des sozialen Zusammenlebens, die von aussen betrachtet als Naturgesetze, von innen betrachtet aber als Lebenskräfte des Sozialen erscheinen. Besinnliches Nachdenken über die Gemeinschaft, sie, um die es geht, im Spiegel der Menschenseele leben zu lassen, so dass sie sich dort in der Seele bilden kann. Dann, aber nur dann darf in der Gemeinschaft der Einzelseele Kraft leben. Wie kann denn die Gemeinschaft im Spiegel der Menschenseele leben? Dazu muß die Menschenseele die Gemeinschaft wahrnehmen können; sie muß zuhören, lauschen können, in der eigenen Seele schweigend werden können. Der Mensch kann dann aufmerksam darauf werden, dass er fast alles, zu dem er geworden ist, seinen Mitmenschen, d.h. Im weiteren Sinne der menschlichen Gesellschaft verdankt. Nur sehr wenig verdankt er sich selber. Diesen Teil seines Wesens durch Selbsterziehung zu erweitern ist seine vornehmste Aufgabe. Dies ist zugleich auch das Gebiet des menschlichen Handelns, auf dem der Mensch frei ist. Niemand kann ihn hindern, an sich zu arbeiten und niemand kann ihn dazu zwingen. Er kann ein freier Geist werden. Wenn er so an sicharbeitet, wächst der Einzelseele Kraft.

Was tut der Einzelseele Kraft? Sie wirkt initiativ und sie darf das, denn sie lässt leben im Verständnisse des fremden Wollens und sie lebt in der Liebe zum Handeln. Der freie Geist sucht taktvollen Umgang mit den Mitmenschen in der Erwartung, dass man sich letztendlich in der Wahrheit begegnet.

Was denn eigentlich sonst noch? Ist das alles? Nein, - strenge Erziehung des eigenen Denkens, Erziehung des Willens, Gelassenheit (Seelenruhe), Positivität, Vorurteilslosigkeit (das heisst immer nur aus der aktuellen Situation, nie aus vergangener Erfahrung urteilen), schliesslich Harmonie anstreben. Das alles zusammen macht der Einzelseele Kraft aus.

Die hier zum Schluss angedeutete Tätigkeit der Einzelseele wirkt gemeinschaftsbildend.

Peter Nantke