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PLAUDEREI ÜBER MALEREI

Peter Nantke

Goethe hat sich intensiv mit Malerei beschäftigt, weil er ihr eine besondere Bedeutung für das Le­ben und die Kunst beimaß. Er war sogar lange im Zweifel, ob er sich der Malerei anstatt der Dich­tung zuwenden solle. Seine Beschäftigung mit der Farbenlehre ist unter anderem auch durch sein Interesse an der Malerei motiviert. Schließlich entschied er sich doch für die Dichtkunst. Goethe war ebenso sehr ein Augenmensch, wie er ein Mensch der Sprache war. Er wußte daher auch um den Unterschied von Gehörtem und Gesehenem. Das folgende kleine Gedicht charakteri­siert diesen Unterschied:

Dummes Zeug kann man viel reden,
Kann es auch schreiben,
Wird weder Leib noch Seele töten,
Es wird alles beim Alten bleiben.
Dummes aber vor's Auge gestellt
Hat ein magisches Recht;
Weil es die Sinne gefesselt hält,
Bleibt der Geist ein Knecht.1

Wenn man dieser Aussage beipflichtet, wird man dem bildenden Künstler eine besondere Verant­wortung zusprechen. Er wendet sich mit seiner Kunst nicht an den wachbewußten Menschen, son­dern mehr an den träumenden. Ein Bild wirkt auf das Unterbewußtsein und tangiert damit die Frei­heit des Menschen. Wie müßte Malerei beschaffen sein, damit diese Wirkung nicht eintritt?

Was ist ein Bild und wie entsteht es? Ein Bild ist kein Foto, d.h. die möglichst genaue Ab­bildung der Natur. Wenn es so etwas überhaupt geben sollte, wäre es ein Nichts. Ein Bild ist immer etwas durch die Seele hindurchgegangenes, durch die Seele verändertes. Wenn der Maler die Natur nur abbilden möchte, wie ein Wissenschaftler im 19. Jahrhundert etwa, der möglichst getreu die Natur schildern wollte, dann brauchte er sich keine Mühe zu geben, seine Arbeit wäre unnötig, ein gutes Foto würde Besseres leisten. Vor der Erfindung der Fotografie war die Arbeit des zeichnen­den und malenden Wissenschaftlers sinnvoll, heute ist sie es nicht mehr. Walter Andrae, der noch am Be­ginn unseres Jahrhunderts in Mesopotamien gezeichnet und gemalt hat, ist eine Übergangs­erscheinung. Wir verdanken der Erfindung der Fotografie also zweierlei, zum einen die Einsicht, dass es sinnlos geworden ist, {\sl naturgetreu} malen zu wollen und zum anderen die Ein­sicht, dass das durch die Seele des Malers gegangene Bild etwas ganz Neues, noch niemals vorher dagewese­nes ist, - nein, zu sein hat. Es ist sicher kein Zufall, dass ungefähr gleichzeitig mit der Erfindung der Fotografie der Impressionismus aufkommt.

Die Impressionisten sehen mehr und auch anderes als diejenigen, die das neue Organ noch nicht besitzen. Demgegenüber hat der gewöhnliche Fotograf das Ideal, die Welt so abzubilden, wie sie ist. Aber auch er kann sich auf die Dauer nicht der künstlerischen Verarbeitung des Gesehenen ent­ziehen. Es entsteht eine neue Kunst, eben die fotografische Kunst, die nun gerade den Anspruch er­hebt, die Natur gerade nicht so darzustellen, wie sie ist.

Was geht also bei der Tätigkeit des Malers vor sich? Bei der Tätigkeit des Malers geht fol­gendes vor: Zuerst wird der Künstler von außen angeregt, bzw. er lässt sich von außen anregen. Diese An­regung verarbeitet er und bringt sie dann auf die Leinwand oder das Papier. Wenn vor der Natur gemalt wird, spielt sich dieser Prozeß sozusagen simultan ab.

Das, was schließlich auf dem Papier zu sehen ist, ist also etwas Neues, eine höhere, vergeistigte, transzendierte Natur.

Nachdem dieser Schritt schon im 19. Jahrhundert vollzogen war, lag es nahe, noch einen Schritt weiter zu gehen und ganz bewußt das Innenleben der durch die Natur angeregten Seele dar­zustellen, es entstand der Expressionismus, der sich bald zum Kubismus und zur abstrakten Malerei wei­terentwickelte. Jetzt erst entsteht eine Gefahr, nämlich daß alles, was irgendwie auf Leinwand oder Papier dargestellt wird, für bildende Kunst gehalten werden kann. Und natürlich ist auch alles, was sich so darstellt irgendwie Ausdruck eines Inneren, eines Seelischen. Wie gewinnt man Krite­rien, welche die Beliebigkeit von echter Kunst zu unterscheiden erlauben?

Kehren wir für einen Augenblick zu Goethe zurück, - ´´Dummes Zeug kann man viel reden ... Dummes aber vor´s Auge gestellt ..., dies will doch wohl sagen: Dummes soll der Künstler der Menschheit nicht vor´s Auge stellen. Man soll sich am künstlerischen Werk ergötzen können, Schönheit soll sich mit dem Geist vermählen.

Die Schönheit hatte schöne Töchter,
Der Geist erzeugte dumme Söhne,
So war für einige Geschlechter
Der Geist nicht ewig, doch das Schöne.
Der Geist ist immer Autochthone.
So kam er wieder, wirkte, strebte,
Und fand, zu seinem höchsten Lohne,
Die Schönheit die ihn frisch belebte.2

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Aber das kann natürlich nicht schon alles sein. Denn das Schöne kann entsetzlich dumm sein und das Häßliche kann erhaben und dadurch schön sein. Überhaupt bewegt uns das Erhabene gerade dadurch, dass seine Schönheit nicht Naturschönheit ist. Hier denke ich an Darstellungen von Ereig­nissen unseres Jahrhunderts, an denen dies klar wird. Freilich gehört die Beherrschung des Hand­werks, das malerische und zeichnerische Können dazu, um solche Darstellungen künstlerisch glaubhaft wagen zu können. Eine ganz wichtige Vorbedingung ist also zweifelsohne das hand­werkliche Können ohne welches niemand ein Meister wird.

Ein Kunstwerk kann man immer wieder genießen, ja, der Genuß und das Verständnis stei­gern sich, je öfter man sich einem Kunstwerk zuwendet. Dies gilt nicht nur für Musik oder Dich­tungen son­dern ganz besonders auch für Bilder. Bei Bildern kommt es ganz besonders darauf an, dass man sich ihnen öfter ganz bewußt zuwendet. An Bildwerken, die man in seiner Wohnung hän­gen hat lebt man leicht vorbei. Deswegen ist es gut, öfters die Bilder zu wechseln. Wenn man be­merkt, dass man ein weggehängtes Bild vermisst, ist dies ein Zeichen für die Qualität des Bildes.

Manchmal sieht man bei modernen Bildern, dass der Maler sich in seinen Figuren unverse­hens selbst portraitiert hat. Dies ist meistens nicht die Folge einer besonderen Meisterschaft, son­dern ganz im Gegenteil durch mangelhaftes Können verursacht, der Maler projiziert sich unwill­kürlich nach außen. Daran sieht man, dass der Mensch ein geborener Expressionist ist. Seine Auf­gabe als Künstler besteht gerade darin, diesen naturgegebenen Expressionismus zu überwinden, das heißt aber, sich zu entwickeln. Die Meisterschaft ist erreicht, wenn der Künstler sich im Dargestell­ten nicht mehr selber, sondern das Innere des Anderen portraitiert.

In gewissem Sinne ist daher alle Malerei die Kunst, - was auch immer - zu portraitieren. Nur ist vom Künstler zu verlangen, dass er sich nicht in allen Dingen selber darstellt. Wohlgemerkt, dies ist keine Ablehnung des Expressionismus. Es ist vielmehr die Steigerung des expressionisti­schen Prinzips. Goethe war der Meinung, dass sich der Künstler einen Meister suchen soll, von dem er lernt.

Willst du dir aber das Beste thun,
So bleib' nicht auf dir selber ruhn,
Sondern folg' eines Meisters Sinn;
Mit ihm zu irren ist dir Gewinn.3

So finde denn mit diesem Wort eines großen Meisters diese Betrachtung ihr vorläufiges Ende.

Da erhebt sich nun die Frage, was denn wohl in der Situation der Moderne die Stilmittel der Male­rei sein könnten ? Malerische Versuche während des Urlaubs auf Gotland ließen einerseits die da­mit verbundenen Probleme schmerzlich empfinden, brachten aber andererseits die Unterweisung durch einen bedeutenden Maler frisch in das Gedächtnis zurück.

Eine erste Antwort hat der Philosoph Günther Anders gegeben, der sein Philosophieren zweifels­ohne als Kunst angesehen hat, nämlich Übertreibung, Vergrößerung. Eine zweite Antwort lautet Vereinfachung, Heraushebung des Wesentlichen und eine dritte Antwort Symbolisierung d.h. Verbildlichung. Dazu kommt Abstraktion, die nicht einfach nur Vereinfachung ist, sondern gleichsam eine Steigerung der Verbildlichung.

Die genannten Stilelemente beziehen sich sowohl auf die Form, als auch auf die Farbe. Was nun insbesondere die Farbe betrifft, so wird man schnell feststellen, dass es sehr schwer ist, sie zum Leuchten zu bringen. Noch schwerer aber ist es, in die Farbkomposition eine Aussage hineinzule­gen, d.h. das Bild durch die Farbe sprechen zu lassen. Da sind nun einige Regeln, sozusagen hand­werkliche Kniffe, die, wenn sie auch die künstlerische Kraft nicht ersetzen können, recht hilfreich. Man kann eine Farbe in ihrem Charakter heben, indem man die Komplementärfarbe dagegen setzt. Das ist aber nur das gröbste Mittel. Dennoch wird man es mit Nutzen verwenden. Ein feineres Mittel zum selben Zweck besteht darin, dass man eine Farbe durch ein dagegen ge­setztes Weiß oder helles Grau höht. Die Wirkung beruht darauf, dass das Grau unbemerkt vom Au­ge die Tingierung der Komplementärfabe annimmt, wodurch die Farbe stärker zum Leuchten gebracht wird. Schließlich kann man zum selben Zweck Schwarz verwenden. Überhaupt besitzt je­der Farbton einen eigenen Grauwert, durch den er sich in eine Skala zwischen Schwarz und Weiß einordnet. Das Schwarz kann man als Bild der Finsternis betrachten und entsprechend das Weiß als Bild des Lichtes. Beide sind aber tote Bilder; sie werden erst im Zusammenwirken mit den anderen Farben zu künstlerischem Leben erweckt.


22. März 2000


Ein Besuch bei einem Malerfreund gibt willkommene Veranlassung, diese Betrachtung fortzuset­zen. Seine Bilder haben eine eigenartig starke Wirkung. Man kann zunächst den Eindruck erhalten, dass er von dem Maler Zeitler, mit dem er befreundet ist, beeinflußt ist. Das ist aber keineswegs so. Beide benutzen sie dieselben Stilmittel. Man kann verkürzt sagen, daß beide über­treiben und ver­fremden. Da der Maler mit Farbe und Form arbeitet, kann er sowohl die Farbe, wie die Form über­treiben und verfremden. Das ergibt vier verschiedene Stilmittel die in den Epochen der Malerei je­weils anders eingesetzt wurden. So verwenden zum Beispiel die Künstler des Im­pressionismus in besonderer Weise die Übertreibung der Farbe; im Expressionismus kommt ganz stark Übertreibung der Form und Verfremdung der Farbe auf und schließlich wird dann auch noch die Form im Ku­bismus nicht nur übertrieben sondern auch noch stark verfremdet. Picasso und Braque verwenden ausgiebig alle vier Stilmittel.

1Goethes Werke, Weimarer Ausgabe, I. Abt., Bd 3, S. 256 , abgekürzt WA.

2WA, I. Abt., S. 190.

3WA, I. Abt., 2. Bd., S. 224.