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Über die Exponentialspirale

Peter Nantke, 1963, überarbeitet 2001.

Die Exponentialspirale ist eine überaus merkwürdige Linie. Sie scheint unter den Spiralen den Platz einzunehmen, den der Kreis unter den Kurven 2. Ordnung inne hat. Die Tangenten dieser Spirale schneiden nämlich den Radius überall unter dem gleichen Winkel, welche Eigenschaft die Spirale mit dem Kreis gemein hat. Nur ist dieser Winkel beim Kreis immer ein Rechter, während er bei den Expopnentialspiralen alle Werte α im Intervall 0 < α < 90° annehmen kann, aber für jede einzelne Spirale ist dieser Winkel in allen ihren Punkten gleich groß. Die Spirale ist durch diesen Winkel also vollständig charakterisiert. Der Kreis erscheint als Grenzfall.

Ein weiteres Paar von Eigenschaften weist auch auf eine Verwandtschaft von Kreis und Exponentialspirale hin. Alle Teile eines Kreises, die gleiche Winkel in den Mittelpunkt projizieren, sind einander kongruent. Alle Teile einer Exponentialspirale, die gleiche Winkel in den Mittelpunkt (das Auge) der Spirale projizieren, sind einander ähnlich. Da Kongruenz ein Sonderfall der Ähnlichkeit ist, erscheint der Kreis bezüglich dieser Eigenschaft als Sonderfall der Exponentialspirale.

Der Radius des Krümmungskreises einer Exponentialspirale ist in allen Punkten dem Radius der Spirale proportional, eine Eigenschaft, die mit der vorhin erwähnten zusammenhängt und die der Kreis ebenfalls besitzt, nur ist die Proportionalitätskonstante beim Kreis gleich der Einheit.

Die Kurven 2. Ordnung kann man sich durch projektiv auf einander bezogene Elementargebilde 1. Stufe erzeugt denken. Eine ganze Schar solcher Kurven 2. Ordnung kann man sich durch zwei projektiv auf einander bezogene ebene Felder, die ineinander liegen, erzeugt denken. Eine solche projektive Beziehung ist bekanntlich eine Kollineation und sie besitzt im allgemeinen drei sich selbst zugeordnete Punkte, sowie drei sich selbst zugeordnete Geraden. Diese besonderen Elemente pflegt man Fixelemente der Kollineation zu nennen, das durch sie bestimmte Dreieck bzw. Dreiseit Fundamentaldreieck, mit einem Ausdruck von George Adams ” Wächterdreieck “.

Natürlich kann man sich jede Kurve 2. Ordnung durch unendlich viele Kollineationen erzeugt denken, dagegen bestimmt andererseits jede Kollineation genau drei konkrete Scharen von Kurven. Es ist die Frage, ob dies immer Kurven 2. Ordnung sein müssen.

Es gibt bei den Kurven 2. Ordnung im allgemeinen zwei verschiedene Arten der Erzeugung einer solchen Schar, nämlich:
1) Alle drei Eckpunkte des Wächterdreiecks sind reell. Alle Kurven der Schar gehen durch zwei Eckpunkte des Wächterdreiecks.
2) Zwei Eckpunkte des Wächterdreiecks sind imaginär. Alle Kurven einer Schar gehen durch mindestens einen der imaginären Eckpunkte.

Der erste Fall ist in einer gewissen Beziehung ganz symmetrisch. Durch welche zwei Eckpunkte des Wächterdreiecks auch immer Kurven gelegt werden, es sind immer Kurven 2. Ordnung. Besitzt eine Kollineation drei reelle Fixpunkte, so werden durch die Kollineation also immer drei Scharen von Kurven 2.Ordnung bestimmt.

Werden in ähnlicher Weise durch eine Kollineation mit zwei imaginären Fixpunkten drei Scharen von Kurven bestimmt und bestehen alle drei Scharen wie im ersten Fall aus Kurven 2. Ordnung? Ich beschränke mich bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage zunächst bewußt auf den Fall, bei dem die imaginären Fixpunkte der Kollineation die Normalpunkte der Ebene, auch Kreispunkte oder Fixpunkte der absoluten Involution genannt, sind.

Bei v. Staudt, Beiträge zur Geometrie der Lage, Nr. 190 ff., findet sich eine Reihe von Sätzen, die für das vorliegende Problem wesentlich sind. Ich zitiere aus Nr. 190 und 191 der Beiträge:

”Nr. 190 In einem rechtwinkligen Strahlenbündel sollen auch je zwei imaginäre Elemente, welche einander entweder zugeordnet oder konjugiert sind, zu einander senkrecht heissen. Jedem imaginären Strahle aba1b1 ist eine imaginäre Ebene ABA1B1 zugeordnet, deren reelle Axe zu dem reellen Träger der imaginären Geraden senkrecht ist. Sind die Geraden a1,b1 zu den Geraden a,b beziehlich senkrecht, so liegt die imaginäre Gerade aba1b1 in der ihr zugeordneten Ebene, daher alsdann jedes dieser Elemente auch zu sich selbst senkrecht ist. Jeder reelle Büschel I. Ordnung, dessen Mittelpunkt oder dessen Axe nicht im Unendlichen liegt, enthält also zwei einander konjugierte imaginäre Elemente, deren jedes zu sich selbst senkrecht ist. Zwei solche einander konjugierte imaginäre Elemente sind aber nichts anderes als die Ordnungselemente eines rechtwinkligen Büschels.

Nr. 191 Wennn zwei kongruente Strahlenbüschel abc...,a1b1c1 ..., welche in einerlei Ebene liegen und einen gemeinschaftlichen eigentlichen Mittelpunkt haben, in einem und demselben Sinne beschrieben sind, so haben sie zwei einander konjugierte imaginäre Strahlen entsprechend gemein, deren jeder zu sich selbst senkrecht ist...

Nennt man je zwei unendlich ferne Punkte der Ebene, welche in zwei zu einander senkrechten Richtungen liegen, einander zugeordnet, so hat man ein involutorisches Punktgebilde, dessen Träger die unendlich ferne Gerade der Ebene ist. Die Ordnungspunkte dieses Gebildes werden aus jedem reellen eigentlichen Punkte durch zwei einander konjugierte imaginäre Gerade projiziert, deren jede zu sich selbst senkrecht ist, und sollen daher die Normalpunkte der Ebene heissen ...“

Diese äußerst eigenartigen Formulierungen v. Staudts kann man sich mit anschaulichem Inhalt erfüllen, wenn man bedenkt, daß zwei in einer Ebene liegende aufeinander bezogene Strahlenbüschel, bei denen die Winkel zwischen zugeordneten Strahlen kongruent, d.h. gleich sind, einen Kreis bestimmen, der durch die Trägerpunkte der Strahlenbüschel geht. Dies ist ja nichts anderes, als der bekannte Satz vom Peripheriewinkel.Man sieht so deutlich, in welcher Art die Normalpunkte mit dem Kreis zusammenhängen. Die Normalpunkte sind der ideelle Ausdruck für die im Satz vom Peripheriewinkel beschriebene Eigenschaft des Kreises. Warum man also sagt, daß alle Kreise die Normalpunkte enthalten, oder andersherum gesagt, warum alle Kreise durch die Normalpunkte gehen, ist damit anschaulich klar.

Um die Normalpunkte noch besser in der Vorstellung zu erfassen, denke ich mir irgendeinen imaginären Punkt der unendlichfernen Geraden durch vier reelle, sich paarweise trennende Punkte dargestellt. Vier solche Punkte bestimmen ja eine elliptische Involution, deren Fixpunkte imaginär sind. Nun führe ich folgende Sprechweise ein: "Der imaginäre Punkt der unendlichfernen Geraden soll aus einem eigentlichen Punkt P projiziert heißen, wenn in diesem Punkt die vier Richtungen gegeben sind, die den imaginären Punkt I darstellen, wenn sie in einem bestimmten Sinn beschrieben werden."

Man kann auf diese Art alle imaginären Punkte der unendlichfernen Geraden (unendlichfernen Ebene) projizieren. Wendet man nun die Steiner’sche Doppelpunktkonstruktion an, indem man einen Kreis k durch den Punkt P legt und durch die Schnittpunkte von k mit dem Strahlenwurf i, der den Punkt I aus P projiziert, die entsprechenden Kreuzlinien gezeichnet denkt, so wird die Verbindungslinie der Kreuzpunkte keine reellen Schnittpunkte mit k besitzen.